Schulessen in Würde – Offener Brief der Elternschaft der Nürtingen Grundschule…

…an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, Bildungssenatorin Sandra Scheeres, Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum

Als Gesamtelternkonferenz der Nürtingen Grundschule – einer modernen Grundschule in Kreuzberg mit 384 Schülerinnen und Schülern, 768 Müttern und Vätern, 30 Lehrerinnen und Lehrern sowie 20 Erzieherinnen und Erziehern – stellen wir uns uneingeschränkt hinter die Forderungen des Landeselternausschusses (LEA) zu den künftigen Regelungen des Schulessens.

Als Diejenigen, die Kinder in die Welt gesetzt und die Doppelbelastung von Beruf und Familie auf sich genommen haben, erwarten wir, dass Sie als gewählte Volksvertreter bestmögliche Rahmenbedingungen für die Ausbildung unserer Kinder schaffen.

Berlin setzt auf Ganztagsschulen. Das setzt voraus, dass unsere Kinder an den Schulen nahrhaftes und appetitliches Essen bekommen. Doch damit allein ist es mitnichten getan. Essen ist ein ganz fundamentaler Bestandteil von Kultur. Wenn Schulen unsere Kinder ganztags beschulen, müssen Sie zwangsläufig einen höheren Beitrag zur kulturellen Erziehung unserer Kinder leisten – und dazu gehört genussvolles Essen in einem würdigen Rahmen, ebenso wie angemessene Pausen und die Möglichkeit zum Toben und Bewegen nach dem Essen. All das ist an den meisten Schulen bisher nicht gegeben.

Wenn Sie nun die Forderungen der Eltern nach mehr Qualität im Essen aufgreifen, aber so wenden, dass die finanziellen Lasten einseitig auf uns Eltern abgeschoben werden, ist das alles andere als fair. Wer A sagt, muss auch B sagen. Das Land Berlin hat sich für Ganztagsschulen entschieden, nun muss es auch den finanziellen Rahmen für vernünftiges Essen in würdigem Rahmen schaffen.

Unsere Kinder sollen nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen? – An fünf Tagen in der Woche in der Schlange stehen, dann in Hast angelieferten Fraß in sich hinein schlingen – das ist nicht die Lehre für das Leben, die wir erwarten dürfen. Wir fordern, dass das Land mindestens die Hälfte der Kostensteigerung für das Essen übernimmt.

Wir tragen als Eltern neben erwähnter Mehrfachbelastung vielerlei Kosten – hier ein Zuschuss zu Lehrmitteln, dort Fahrgeld, Kosten für Ausflüge, Klassenfahrten, Vereine. Alles kleine Beträge, die aber in der Summe ins Gewicht fallen und ständig teurer werden. Wir übernehmen damit, dass wir Kinder aufziehen, gesellschaftliche Verantwortung. Wir können erwarten, dass uns die Gesellschaft unterstützt. Und wir erwarten es.

Ein Unding ist es, wenn sie für sozial Schwache Härtefallfonds einrichten wollen. Es ist schlicht unzumutbar, dass Eltern den Büßer-Gang ins Sekretariat antreten sollen, damit ihre Kinder in der Schule mitessen dürfen. Es muss selbstverständlich sein, das jedes Kind, das Hunger hat, Essen bekommt. Vollkommen unabhängig davon, ob seine Eltern gezahlt haben oder nicht. Sie können nicht die Kinder in Haftung für ihre Eltern nehmen. Das widerspricht jedem Rechtsverständnis und jeder Moral. Ebenso ist es ein Unding, Essenszuschläge ohne soziale Staffelung zu erheben. Wir fordern, dass die Einkommenssituation der Eltern zugrunde gelegt wird. Wir fordern, dass Eltern von zwei und mehr Kindern entlastet werden.

Wir registrieren als Eltern, dass Sie und ihre Vorgängerregierungen seit vielen Jahren nur noch die nötigsten Baumaßnahmen an Schulen durchführen und durchgeführt haben. Schulgebäude und Turnhallen sind dem Verfall preisgegeben. Öffentliches Eigentum, aus Steuergeldern finanziert, geht vor die Hunde. Zugleich treiben Sie Prestigebauten wie das Stadtschloss, die Zentralbibliothek oder den Flughafen BER voran – und leiten Steuermilliarden in diese Projekte. Was das mit Schulessen zu tun hat, fragen Sie? – Wo sind die Investitionen in angemessene Räumlichkeiten an den Schulen, in denen Essen als Kultur gepflegt werden kann? Wo sind gemütliche, wohnliche Rückzugsräume für unsere Kinder, die auf Ihr Betreiben hin ganztags beschult werden? Wo die menschenwürdigen Nassbereiche und Toiletten, in denen die Kinder vor dem Essen ihre Hände waschen können – ohne das Gefühl zu haben, schmutziger herauszukommen, als sie hinein gegangen sind? Sie haben in Berlin hunderte Baustellen – nicht nur den BER – die auf Vollendung warten. Viele Menschen – Ihre Wähler von heute und morgen – warten darauf, dass Sie Ihrer Verantwortung gerecht werden.

Was Sie bisher abliefern, wird dieser Verantwortung nicht gerecht. Wir registrieren, wie Sie die Bezirke seit Jahren unter-finanzieren und dann die Frechheit besitzen, die Verantwortung für die schulische Misere eben auf diese Bezirke abzuwälzen. Wir bekommen es mit, dass Sie Paläste bauen, aber Schulgebäude verfallen lassen. Wir sehen, wie Sie unsere Kinder in Schulreformen einspannen, aber nicht bereit sind, diese Reformen angemessen zu finanzieren. Wir hören seit Jahren Ihre Wahlkampfversprechen und Sonntagsreden, in denen Sie mehr Ausgaben für Bildung proklamieren – und erleben dann Kürzungen, Stellenabbau und Ihre Weigerung, die Schule zu jenem Kulturraum zu machen, der sie als Ganztagsschule nun einmal sein muss.

Herr Senator Nußbaum, Sie selbst haben unlängst verlauten lassen, dass unsere Schulen nicht mehr zeitgemäß sind. Die Analyse stimmt. Lassen Sie nun stimmiges Handeln folgen. Das gilt sowohl für einen angemessenen Unterhalt der Schulgebäude, wie für eine angemessene Finanzierung der vielen Reformprojekte, mit denen Ihre Kollegen die Berliner Schulen überziehen. Mehr Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Das gilt für das Schulessen ebenso, wie für die Inklusion oder für fachlich fittes Lehrpersonal. Machen Sie Ihre Wahlversprechen wahr. Investieren Sie in Bildung. Wenn das Land hunderte Millionen für den BER nachschieben kann, kann es auch hunderte Millionen für Schulen nachschieben. Das wäre – anderes als ein Flughafen – tatsächlich eine ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Investition.

Und noch Eines zum Schluss: der Landeselternausschuss hat 100-prozentige Rückendeckung der Elternschaft unserer Schule. Wir lassen keinen Keil zwischen uns und unsere gewählten Vertreter treiben. Unverschämt sind nicht die Forderungen des LEA. Unverschämt ist die Haltung, mit der Sie wie von Gottes Gnaden über Gelder und Vertrauen verfügen, das wir Ihnen als Steuerzahler und Wähler treuhänderisch bereitstellen.

Mit freundlichen Grüßen
Die GesamtelternvertreterInnen der Nürtingen Grundschule, unter anderem vertreten durch:
Britta Brugger, Eliana Moreira, Dörte Brandes, Elke Götz, Barbara Ostertag, Jetti Hahn, Koji Sket, Ali Saad, Markus Schalhofer, Paul Rosen, Stephanie Much, Heiko Doepke, Frank Herzog, Lorenz Rollhäuser, Tanja Yetgin